Moonjourney

Zweifel:
Should I stay or should I go?

Die Entscheidung, ob ich in Thailand bleiben oder zurück nach Deutschland kehren sollte, quälte mich schon seit Tagen. Mehr über meinen inneren Kampf erfährst du hier.

Planänderung: Wohin nun?

Soll ich nach Deutschland zurückkehren? Diese Frage beschäftigt mich schon seit Tagen. Ich befinde mich derzeit in Gaia Ashram, einem Permakultur-Lernzentrum im Nordosten Thailands. Eigentlich haben ich und mein Freund Haikal vorgehabt, nach unserem einmonatigen Thailand Roadtrip nach Sri Lanka weiterzufliegen.

Doch Covid-19 hat einen Strich durch unsere Pläne gemacht.

Die Tage vor dem geplanten Flug nach Colombo waren voller Stress und Ungewissheiten, da unklar war ob unser Flug überhaupt stattfinden würde. Stündlich überprüfte ich die Nachrichten, versuchte herauszufinden, ob bereits Einreisestopps für Deutsche nach Sri Lanka verhängt worden waren. Ein Telefonat mit der sri-lankischen Botschaft brachte endlich Klarheit. Die Bearbeiterin  erklärte mir, dass ich bis Ende des Monats kein Visum für Sri Lanka erhalten würde. Zudem informierte sie mich darüber, dass eine Einreise ohnehin unmöglich war, da der Flughafen von Colombo bereits einige Tage zuvor geschlossen worden war. Dabei hatte die Fluggesellschaft meinen Flug nicht einmal gecancelt. Ich war fertig mit den Nerven.

Doch was nun? Wohin sollten wir gehen? Zurück nach Gaia? 

Bei unserer ersten Woche in Gaia hatte ich das Bedürfnis gehabt, länger zu bleiben und einen tieferen Einblick in das Leben in der Community zu bekommen. Ich konnte an keinen anderen Ort denken, an dem ich jetzt lieber wäre als in Gaia. Wir ließen uns von unserer Intuition leiten, verlängerten unser Visum für Thailand und buchten den erstbesten Bus zurück nach Nong Khai. Als wir einen Tag später in Gaia ankamen, spürte ich Erleichterung. Obwohl wir bei unserem letzten Aufenthalt nur eine Woche hier verbracht haben, hatte ich nun das Gefühl Heim zu kehren. 

Aber die  Freude währte nicht lange. Ein paar Tage später holten mich meinen negativen Gefühle wieder ein: meine Ängste, Unsicherheiten und Zweifel. Seit unserer Ankunft habe ich mein Handy noch nicht aus meinem Backpack geholt. Aus Angst vor besorgten Nachrichten meiner Familie und Freunde, die mich zweifellos zum Heimkehren bewegen wollten. 

Zurück nach Deutschland?

Doch der Gedanke nach Deutschland zurückzukehren macht mir Angst. Vieles hat sich in dem Monat meiner Abwesenheit verändert. 

In Bayern wurde vor wenigen Tagen ein Gesetz verabschiedet, das das Verlassen des eigenen Hauses außer zur Erledigung essentieller Tätigkeiten untersagt. 

Ecovillage-Thailand

Das soziales Leben wurde auf ein Minimum heruntergefahren. Cafés, Restaurants und Schulen wurden geschlossen; Freunde treffen wurde verboten. 

Der Gedanke in diese neue Realität zurückzukehren machte mir Angst und lag außerhalb meiner Vorstellungskraft.

Mit einem Fluchen packte ich mein Handy aus. Ich konnte  meiner Familie nicht ewig aus den Weg gehen. Es war nun gut eine Woche her, seit ich das letzte Mal auf mein Handy gesehen habe. Sie machten sich bestimmt schon wie verrückt Sorgen. Meine Hände zitterten. Ich atmete tief ein und aus. Versuchte mich zu beruhigen. Dann schaltete ich mein Handy an. 

„Milena, Antwort bitte!”, sprang mir die erste Nachricht ins Gesicht. 

„Wurdest du verhaftet?”, hatte eine andere Freundin geschrieben.

Das Pochen in meinem Kopf wurde wenn möglich noch stärker und Tränen drängten sich in meine Augen. Ich vermisse sie alle so sehr: Meine Eltern, meine Schwester, meine beste Freundin, meinen Hund. Ich wünschte ich könnte meinen Hund jetzt streicheln. Meinen Kopf in ihrem seidigen Fell vergraben und Trost und Geborgenheit suchen. 

Ich müsste mich dann für sie zusammenreißen, dürfte nicht weinen. Sugar kann es nicht ertragen, wenn ich traurig bin. Ich glaube sie kann mit Trauer nichts anfangen. Sie ist eine fröhliche Hündin. 

Oder doch in Thailand bleiben?

Doch auch wenn ich gerne daheim wäre, sprach zu viel dagegen. Plötzlich würde ich mich entscheiden müssen, wo ich wohnen würde. In meiner Studenten-WG? Oder bei meinem Papa? Oder bei meiner Mama? Ich habe drei Orte, die ich mein Zuhause nenne. Wie sollte das mit den neuen Coronaregeln funktionieren? Worin lag der Sinn dabei heimzukehren, weil ich meine Liebsten vermisste, letztendlich jedoch ohnehin nur einen Bruchteil meiner Familie sehen durfte. 

Ich fühlte mich hin und hergerissen zwischen der Entscheidung.

Das Bild meines Stiefvaters tauchte vor meinem inneren Auge auf. Er war mit zwei Autoimmunkrankheiten gestraft. Bei ihm könnte eine Ansteckung tödliche Folgen haben. Ich konnte nicht verantworten, ihn mit Corona zu infizieren. Das wäre etwas, was ich mir nie verzeihen könnte. Das wat der beängstigendste Gedanke: meine Liebsten zu infizieren. Am besten ich blieb weit weg von Daheim. 

Thailand-Ecovillage

Trennung auf Zeit?

Doch meine Angst heimzukehren, ist nicht das Einzige, was mich hier hält. Bei dem Gedanken mich von Haikal zu trennen, krampft sich mein Herz zusammen. Haikal, mein süßer, malaysischer Freund. Eine binationale Beziehung wir wir sie haben ist schon ohne Corona keine einfache Geschichte. Einer derartige Krisensituation erschwert das Ganze jedoch zusätzlich durch die vorübergehend veränderte Einreisepolitik eines Großteils der Länder. Für Haikal hat Deutschland die Grenzen dicht gemacht, für mich Singapur. Und der Rest der Welt steht keinem von uns mehr offen. Thailand ist somit das einzige Land, in dem wir die nächste Zeit über zusammensein können. Dass unsere Tage gezählt sind, war von vornherein klar. Wir haben uns in Bangkok für eine zwei-monatige Reise verabredet und danach würden wir beide wieder unserer Wege gehen: er zum Arbeiten nach Singapur und ich nach Deutschland, um meinem Studium nachzugehen. 

Doch nun schmerzt der Gedanke, dass unsere Wege womöglich schneller als erwartet auseinandergehen könnten. Warum kann ich ihn jetzt nicht gehen lassen? Müsste ich an eine temporäre Trennung von ihm nicht schon gewohnt sein? Silly Girl! Ich und Haikal haben uns in Vietnam in einer Organisation kennengelernt, in der wir beide Englisch unterrichteten. Ich arbeitete dort nur wenige Wochen, besuchte ihn allerdings zwei Monate darauf in Singapur, um meinen damaligen Asientrip zu beenden. 

Vier Tage lang zeigte er mir die Millionenstadt aus seinen Augen: er nahm mich mit zu seinen Lieblings ‚Hangout spots‘, wie er sie nannte, gab mir einen Geschmack der kulinarischen Vielfalt der Multi-Kulti Stadt und brachte mich mit seinem Motorrad über die Grenze nach Malaysia, wo wir im strömenden Regen tanzten, Nachtmärkte abklapperten und  bis in die Morgenstunden gemeinsam Musik hörten. Ich genoss jeden einzelnen Moment davon. Zurück in Deutschland wäre ich am liebsten sofort zu ihm zurückgeflogen. Doch ich hatte beschlossen, nun endlich etwas ‘Sinnvolles’ mit meinem Leben anzustellen und begann mein Romanistikstudium. 

Nichtsdestotrotz blieben wir in Kontakt und verabredeten uns in meinen Semesterferien für eine einmonatige Reise durch Europa. Sechs Monate später war es dann soweit und wir trafen uns in Berlin, um unseren Roadtrip zu starten. Mit dem Smart, den ich damals fuhr, legten wir gut 6000 Kilometer zurück und ich zeigte ihm die schönsten Ecken Europas. Wir durchquerten die Niederlande, Belgien, Frankreich, den Norden Spaniens sowie Italien, Österreich und Deutschland. 

Es war die bislang schönste Reise meines Lebens! Und ebenso der schwierigste Abschied. Und jetzt sind wir endlich wieder zusammen. Hier in Thailand. Ich liebe ihn. Trotzdem fürchte ich unsere frische Beziehung mit meinen negativen Gefühlen zu belasten.

Singapore-Litttle-India
Singapore-Singlish
Pärchen
Amsterdam
Roadtrip-Europa
Pärchen-Sonnenuntergang

Angst zu bleiben, Angst zu gehen

Ich fürchte mich davor, in Gaia festzustecken ohne die Möglichkeit zu haben, nach Deutschland zurückzukehren. Niemand kann vorhersehen, wie lange diese Krise andauern wird. Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass die Anzahl der Flüge nach Deutschland bereits stark reduziert worden ist. Eine Tatsache, die sich vor allem in den Preisen wieder spiegelt. Bis zu zweitausend Euro kann ein Economy-Ticket von Bangkok nach Frankfurt inzwischen kosten. Frankfurt ist der einzige deutsche Flughafen, der noch internationale Flüge empfängt. Ironischerweise habe ich meine Winterjacke vor meinem Flug nach Thailand bei einer Freundin in Berlin gelassen mit der Absicht diese zwei Monate später wieder abzuholen. 

Inzwischen ist klar, dass das so schnell nicht passieren wird. Dass ich nicht in der Lage sein würde meine Flüge nach Colombo und zurück nach Berlin wahrzunehmen, war noch vor einem Monat undenkbar gewesen. Aber inzwischen scheint alles im Raum des Möglichen. 

Sogar der Gedanke, dass es nach dieser Krise überhaupt keine Flüge mehr geben wird, scheint nicht mehr so weit hergeholt. Was wäre, wenn dies meine letzte Chance ist, nach Hause zurückzukehren? Je länger ich mich mit dem Gedanken anzufreunden versuche, die nächsten Monate in Gaia zu bleiben, desto gefangener fühle ich mich. 

Wie war es möglich, dass ich mich an ein und dem selben Ort sicher und doch gleichzeitig gefangen fühlte? 

Unsere Community hat die Entscheidung getroffen für die nächsten zwei Wochen in Quarantäne zu gehen. Wenn die Lage es erforderte, auch länger. Auf diese Weise können wir sicherstellen, dass niemand von uns den Virus in Gaia heineinschleppt. Ich hätte nicht gedacht, dass es einen solchen Unterschied machen würde nicht mehr die Möglichkeit zu haben, das Gelände zu verlassen. Wobei Möglichkeit in diesem Kontext vielleicht ein zu hartes Wort  ist. Es gibt keine physischen Mauern, die uns in Gaia festhalten. Es gibt nur eine klare Regel: Wer das Gelände verlässt, darf auch nicht wiederkommen. 

Ach, wie ich es vermisse mit den klapprigen Fahrrädern zum nahe gelegenen Café zu fahren. Die Freiheit zu haben, überall hinzugehen wo ich will. Wie heißt es so schön? Man schätzt etwas immer erst, sobald man es nicht mehr hat? Genau so fühle ich mich. Welche Freiheiten ich hatte, ist mir erst bewusst geworden, als mir diese entzogen worden sind. Ich fühle mich machtlos und gefrustet. 

Denn ich habe absolut keinen Einfluss auf die Situation. Das Einzige, worauf ich einen Einfluss habe, ist auf meine persönliche Entscheidung:  Bleiben oder gehen. 

Thailand-Ecovillage

Der Druck wächst…

Mein Kopf schmerzt wie verrückt. Vor zwei Tagen bei dem ersten Treffen des Gesundheitsteams hat sich ein leichtes Pochen in meiner Schläfe eingestellt. Das sogenannte Health Team ist dafür verantwortlich sich zu überlegen, wie wir unser Immunsystem boosten können, um resistenter gegen das Virus zu sein. Wir haben uns dabei vor allem Gedanken darüber gemacht, wie wir eine ausgewogenere Ernährung in unseren Alltag in Gaia integrieren können. Obwohl wir uns vegetarisch ernähren, kochen wir meist thailändische Gerichte, die sehr zuckerlastig sind und häufig in ungesunden Fetten angebraten werden. In dem Punkt raffinierten Zucker aus herzhaften Speisen zu verbannen waren wir uns alle einig. Das Palmöl sollte durch gesündere Optionen wie Kokosnussöl ersetzt werden. 

“Wir sollten auch auf Soja-Sauce verzichten. Die ist neben Zucker eigentlich eins der schlimmsten Lebensmittel, das wir unserem Körper zumuten können.”, verkündigte eines der Mädels.

Ihre Worte hallten in meinem Kopf nach. Sojasauce auch? Was schadete denn noch alles unserem Körper und somit dem Immunsystem? Langsam begann mich dieses Treffen, zu frustrieren und auszulaugen. 

Das leichte Pochen in meinem Kopf hatte sich in eine heftige Migräne verwandelt.

Mir war egal, was wir heute kochten. Mir war nicht danach. Ich war gerade am Karotten schneiden, als eines der Mädchen mir mitteilt, dass ab morgen der gesamte öffentliche Verkehr eingestellt werden würde. Ich spüre, wie der Druck wuchs. Bedeutete das, ich müsste heute eine endgültige Entscheidung treffen? Ich konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Ich schäme mich darüber, vor den anderen zu weinen. Doch ich konnte es nicht ändern. 

Lars redete mir gut zu. Es würde immer eine Möglichkeit geben, heimzukommen. Und wenn ab morgen keine Busse mehr fahren würden, gäbe es immer noch Inlandsflüge. 

Ich war dankbar für seine Worte. Sie nahmen mir einen Teil der Last von den Schultern, die sich die letzten Tage über angestaut hatte. Ich würde heute keine Entscheidung treffen müssen. Ich war nicht in dem richtigen Geisteszustand. All das Denken und die negativen Gefühle hatten mich ausgelaugt. Ich war so erschöpft, dass ich einschlief, sobald mein Kopf das Kissen berührt. 

1 Kommentar zu „Zweifel: Should I stay or should I go?“

  1. A fascinating discussion is definitely worth comment. I do think that you ought to publish more about this topic, it may not be a taboo subject but typically people dont speak about such issues. To the next! Many thanks!!

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